Als wir nach acht Stunden Autofahrt am Sonntagabend aufgeregt in Österreich ankamen, machte einer unserer Teilnehmer die Erkenntnis der Woche: Österreicher sind ziemlich bemitleidenswert, denn sie haben keinen Flaschenpfand. Und das bedeutet, wenn man Ende des Monats kein Geld mehr hat, dann hat man wirklich kein Geld mehr.
Dieser lustige wie bezeichnende Satz begleitete uns durch die Woche. Bezeichnend, weil er verkörpert, aus welchem Umfeld unsere Jugendlichen kommen. Ein Umfeld geprägt von Unsicherheit, von Verzicht und der oftmals viel zu frühen Verantwortung für Eltern, Geschwister und natürlich auch für sich selbst.
Und dann war da der Knaushof mit seinen beiden Ferienwohnung, idyllisch eingebettet in die hochalpine Landschaft der Steiermark. Kontrastprogramm pur.
„Meine Mutter hat gesagt, sie holt mich nicht in Österreich ab, wenn ich mich hier nicht benehme“, erklärte mir einer der Teilnehmer schon am ersten Tag.
„Und“, fragte ich, „was machst du jetzt? Dich benehmen oder hier bleiben?“
„Beides“, antwortete er. Da hatte unsere Freizeit noch gar nicht richtig begonnen.

Wir, das waren elf Jugendliche und vier Clubmitarbeiter, davon war Samuel aber eigens angereist, um nichts anderes zu tun als die Küche zu schmeißen und dafür zu sorgen, dass jeder mit vollem Magen und voller Energie in die sportlich herausfordernden Tagestouren starten konnte.
Wir waren bis zum vorletzten Tag der Freizeit gesegnet mit bestem Bergwetter, sodass alle geplanten Aktionen stattfinden konnten: zur Einstimmung eine Wanderung durch die Silberkarklamm mit Einführung in den Klettersport, die Begehung eines Klettersteigs, eine Höhlentour im Dachsteinloch und eine Canyoningtour.
Was gibt deinem Leben Sicherheit? Diese Frage begleitete uns durch den Tag im Klettersteig. Vertraust du dem Material – den Stahlseilen, Griffen und dem Klettergurt? Vertraust du dem Bergführer und den anderen Teilnehmern, die vor und hinter dir klettern? Und vor allem: vertraust du dir selbst? Traust du dir das hier zu?
Das Beste vorweg: jeder ist am Ende am Gipfel angekommen! Manche mit zittrigen Knien, andere voller Euphorie, weil sie gerade eine neue Leidenschaft entdeckt hatten. Eine unserer Teilnehmerinnen durchstieg an diesem Tag dreimal (!) hintereinander einen Klettersteig – eine Leistung, die sonst nur Markus, unser Mitarbeiter aus Österreich brachte.
Nach dieser euphorischen Erfahrung am folgenden Tag festzustellen, dass die dunkle Enge der Höhle überhaupt nicht zu ihrer Komfortzone gehörte, war durchaus herausfordernd.
Überhaupt, die Höhle. Irgendwie beklemmend. Eingeengt zwischen meterdicken Steinschichten, kalt und dunkel, vom Weg ist gerade so viel zu sehen wie das Licht der Stirnlampe reichte. Aufeinander angewiesen sein.
Als wir nach anderthalb Stunden mühevoller Kletterei im Ramsauer Dom angekommen waren, löschten wir alle Stirnlampen, um dann in der totalen Finsternis eine einzelne Kerze zu entzünden. Was für einen Unterschied doch ein einziges, kleines Licht machen kann! Hast du jemanden, der in der Dunkelheit sein Licht für dich leuchten lässt? Und lässt du dein Licht für die Menschen in der Dunkelheit leuchten und machst so einen Unterschied?
Nach drei sportlich herausfordernden Tagen folgte mit dem Canyon die Tour, auf die sich ein Großteil der Teilnehmer am meisten freute und einige den größten Respekt hatten. Mit Neoprenanzug und Helm dem Wasserverlauf in einer Schlucht folgen – das ist schon ein Erlebnis der ganz besonderen Art. Auf die Teilnehmer warteten Sprünge von unterschiedlich hohen Felsen, natürliche Rutschen und Schwimmpassagen durch eiskaltes Bergwasser. Und dabei war die Top-Leistung nicht unbedingt der gewagteste Sprung, sondern die größte überwundene Angst. Denn für jemanden, der im Schwimmbad nicht mal vom Beckenrand springt, fühlt sich ein Sprung aus zwei Metern Höhe an wie der Rand der Stratosphäre…

Früher oder später kam jeder von uns im Laufe der Woche an seine Grenzen – mental oder körperlich. Der Umgang damit war allerdings sehr unterschiedlich, denn an Grenzen kommen oder Angst haben bedeutet auch, Schwäche zeigen und schwach sein macht verletzlich und angreifbar. Besonders spannend war deshalb auch der Umgang der Gruppe mit den Schwächen des Einzelnen. In einem Gespräch am letzten Abend hob Samuel anerkennend hervor, wie positiv die Jugendlichen im Laufe der Woche miteinander umgegangen waren. Überraschend klar stellten sie fest: das Umfeld macht einen riesen Unterschied – sicher, positiv, wertschätzend.
Ob Höhenangst im Klettersteig oder im Canyon, Platzangst in der Höhle oder nachlassende Kondition, jeder einzelne hat sich seinen Herausforderungen erfolgreich gestellt und kleine oder große Ängste überwunden. Und dieses Gefühl der Überwindung und des Sieges ist unbezahlbar!
Die Rückkehr in altbekannte Herausforderungen war schwer. Aber wenn sie diesen einen Gedanken mitnehmen, wirkt die Zeit in Österreich hoffentlich positiv in den Teilnehmern nach: du bist gut so, wie du bist! Mit deinen Grenzen und Herausforderungen, mit deinen Stärken und Fähigkeiten. Dein Leben hält mehr bereit als den Horizont von Stendal-Stadtsee. Trau dich, groß zu träumen – das bist du wert!
Ein besonderes Dankeschön möchten wir aussprechen an die Getawaydays Österreich, die uns sicher durch die Berge geleitet haben, an den Knaushof für die tolle Unterkunft und Gastfreundschaft und an unsere hochmotivierten österreichischen Mitarbeiter Markus und Anita. Danke für alles! Es war eine unvergessliche Woche!